»Es begab sich aber in jenen Tagen, dass ein Befehl ausging vom Kaiser Augustus, dass alle Welt sich sollte schätzen lassen.«
So fängt die Weihnachtsgeschichte nach Lukas (Kapital 2.1) an. Es wird offenbar, dass die Obrigkeit die Bürger seit jeher schätzt, also taxiert. Steuerschätzungen existieren also schon sehr lange Zeit.
Kommt der Steuerpflichtige seinen Buchführungspflichten nicht nach und ist daher die Buchführung nicht ordnungsgemäss, so ist das FA nach § 162 AO berechtigt, eine Steuerschätzung durchzuführen. Diese kann das Finanzamt aber nicht nach Belieben vornehmen, sondern unterliegt dabei vielerlei Schranken. So bedarf es zunächst eines Schätzungsanlasses.
Zunächst einmal ist klarzustellen, dass das Finanzamt nicht befugt ist, die Steuer selbst zu schätzen. Die Steuer ist stets nur das rechnerische Ergebnis seiner Bemessungsgrundlage. Die Bemessungsgrundlage von Steuern richten sich nach den einzelnen Steuergesetzen für die jeweilige Steuerart wie zB Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer, Umsatzsteuer.
So ist die Bemessungsgrundlage für die Körperschaftsteuer der Gewinn, ebenso bei einem Gewerbebetrieb für die Einkommensteuer. Der Gewinn ist Ausgangspunkt für den Gewerbeertrag nach dem sich die Gewerbesteuer errechnet. Und die Umsatzsteuer bemisst sich nach dem steuerpflichtigen Umsatz. So sind es denn auch zumeist Umsatz und Gewinn, die das Finanzamt schätzt.
II. Wann darf das Finanzamt hinzuschätzen?
Das Finanzamt darf nur dann eine Steuerschätzung durchführen, wenn es einen Schätzungsanlass gibt.
1. Schätzungsanlass
Ein gewichtiger Schätzungsanlass liegt darin, dass ein Steuerpflichtiger keine Steuererklärung abgibt. Würde in dem Fall keine Steuer gegen ihn festgesetzt, würde er besser stehen als derjenige Steuerpflichtige, der seinen Erklärungspflichten nachkommt. Daher darf das Finanzamt in einem solchen Fall eine Steuerschätzung durchführen.
Doch auch, wenn der Steuerpflichtige seine Steuererklärungen und Steueranmeldungen einreicht, kann es zu Schätzungen durch das Finanzamt kommen. Die Schätzung droht vor allem dann, wenn das Finanzamt die Steuererklärungen und Steueranmeldungen überprüft, also bei Betriebsprüfungen.
Zu schätzen ist insbesondere dann, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann oder, wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen der Besteuerung nicht nach § 158 AO zugrunde gelegt werden kann (§ 162 Abs. 2 S. 2 AO).
Dies ist dann der Fall, wenn die Buchführung den Vorschriften der §§ 140 bis 148 AO nicht entspricht oder im Einzelfall ein Anlass besteht, ihre sachliche Richtigkeit anzuzweifeln.
Lesen Sie mehr dazu, bei welchen Anlässen das Finanzamt die Steuer schätzt.
2. Schätzungsbefugnis
Doch selbst, wenn die Aufzeichnungen und die Buchführung mangelhaft sind oder fehlen, so berechtigt das nicht ohne weiteres zu einer Schätzung. Weitere Voraussetzung ist, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse nicht oder nur mit unzumutbarem Aufwand aufklären lassen.
So können etwa fehlende Belege bei Geschäftspartnern vorhanden sein, aus denen sich die fraglichen Geschäftsvorfälle und deren Steuerfolgen ergeben. Beschafft der Steuerpflichtige sie dort, so kann das Finanzamt nicht schlicht darauf verweisen, dass diese beim Steuerpflichtigen selbst nicht vorhanden waren.
Diesen Punkt übergehen die Finanzämter oftmals und legen nicht dar, ob und weshalb eine Sachaufklärung nicht möglich ist. Sie folgern aus dem Schätzungsanlass bereits ohne weiteres die Schätzungsbefugnis.
Bei einer Steuerschätzung bedarf es der Feststellung, dass eine weitere Sachaufklärung nicht möglich oder zumutbar ist (FG Bremen vom 17.1.2007 – 2 K 229/04-5).
III. Wie schätzt das Finanzamt?
Legen Sie Einspruch gegen einen Schätzungsbescheid ein.
Die Schätzung ist ein Verfahren, Besteuerungsgrundlagen mit Hilfe von Wahrscheinlichkeitsüberlegungen zu ermitteln, wenn eine sichere Feststellung trotz des Bemühens um Aufklärung nicht möglich ist.
1. Sachverhaltsfeststellung
Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für ein solches Verfahren von Bedeutung sein können. Erst in diesem Stadium setzen die Schätzungsüberlegungen ein, die aus dem festgestellten Sachverhalt folgern, dass die Besteuerungsgrundlagen in einer wahrscheinlichen Höhe verwirklicht worden sind (BFH vom 2.2.1982 VIII R 65/80, BFHE 135, 158, BStBl II 1982, 409).
Bei der Steuerschätzung ist von dem Sachverhalt auszugehen, der nach Überzeugung des Schätzenden der Wirklichkeit am nächsten kommt. Genügt die Schätzung dem nicht, so verlässt sie den Schätzungsrahmen (BFH vom 31.8.1967 – V 241/64, BFHE 89, 472). Daher ist so bedeutsam, die vom Finanzamt der Schätzung zugrunde gelegten Tatsachen auf ihre Richtigkeit und Vollständigkeit zu prüfen.
Hat das Finanzamt dabei etwas übersehen oder falsch verstanden, was für den Steuerpflichtigen ungünstige Folgen hat, so hat der Steuerpflichtige darauf hinzuwirken, dass der Sachverhalt zutreffend unterstellt wird und hierzu auch Belege oder Beweismittel beizubringen oder zu benennen.
2. Schätzungsmethode der Steuerschätzung
Besteht dem Grunde nach die Befugnis zur Steuerschätzung, so ist es eine Frage des Einzelfalls, welcher Schätzungsmethode sich das FA bzw. das FG bedient. Die gewählte Schätzmethode muss geeignet sein, ein vernünftiges und der Wirklichkeit entsprechendes Ergebnis zu erzielen (BFH vom 21.7.2017 –X B 167/16, BeckRS 2017, 124038).
a) Äusserer Betriebsvergleich
Der externe Betriebsvergleich wird unter Heranziehung der amtlichen Richtsatzsammlung, die aufgrund von Prüfungserfahrungen gewonnene Vergleichszahlen enthält, durchgeführt. Das Finanzamt vergleicht die Kennzahlen für Umsatz und Gewinn des geprüften Unternehmens mit anderen Betrieben.
Allein das Unterschreiten der in der Sammlung angegebenen Richtsätze berechtigt nicht zu einer Schätzung, da die Vergleichbarkeit mit anderen Betrieben angezweifelt werden kann und Besonderheiten des Betriebs beachtet werden müssen. Allerdings kann die Richtigkeit von Steuererklärungen angezweifelt werden, wenn
der erklärte Rohgewinnaufschlagsatz erheblich von den amtlichen Richtsätzen abweicht
dem Steuerpflichtigen keine ausreichenden Mittel zur Bestreitung seines Lebensunterhalts verbleiben
er sich weigert, Auskünfte zu erteilen
Liegen schwerwiegende Buchführungsmängel vor und stehen dem Finanzamt keine anderen Orientierungsmassstäbe zur Verfügung – z.B. weil Unterlagen für eine Nachkalkulation fehlen –, kann auch ein verhältnismässig grobes Schätzungsverfahren wie die Richtsatzschätzung herangezogen werden (BFH BStBl 1982, 409; EFG 1991, 507).
Dabei kann das Finanzamt durchaus an den oberen Rahmen der Richtsatzwerte gehen (FG Saarland EFG 1998, 1554). Der BFH lässt bei Richtsatzbranchen die Zurechnung eines ungeklärten Vermögenszuwachses zum betrieblichen Bereich auch ohne eine detaillierte Geldverkehrs- oder Vermögenszuwachsrechnung zu, wenn der unterste Rahmensatz des Rohaufschlages unterschritten wird (BFH BStBl II 1982, 618).
b) Innerer Betriebsvergleich
Der innere Betriebsvergleich ist dem äusseren Betriebsvergleich vorzuziehen. Die vom Steuerpflichtigen ermittelten Zahlen werden auf Schlüssigkeit geprüft und innerhalb des Prüfungszeitraums verglichen.
aa) Nachkalkulation
Hierbei handelt es sich wohl um die am häufigsten verwendete Methode, das Betriebsergebnis zu überprüfen und ggf. zu schätzen. Sie findet vor allem Anwendung in der Gastronomie. Man unterscheidet zwischen der Ausbeutekalkulation und der Aufschlagskalkulation.
Bei der Ausbeutekalkulation wird der Wareneinsatz mengenmässig erfasst, in Warengruppen aufgeteilt und mit dem Abgabepreis multipliziert.
Bei der Aufschlagskalkulation wird ein Rohgewinnaufschlagsatz ermittelt, der auf den wertmässig erfassten Wareneinsatz angewendet wird.
Die Nachkalkulation ist sehr aufwendig, da sie eine weitgehende Aufgliederung des Wareneinsatzes erfordert, wenn mit unterschiedlichen Aufschlagsätzen gearbeitet wird und eine Vielzahl von Warengruppen im Sortiment des Betriebs sind. Ausserdem müssen Warenbestandsveränderungen, der Eigenverbrauch, Schwund etc. berücksichtigt werden.
Um das Ergebnis der Betriebsprüfung bzw. Steuerfahndung zu erschüttern, übertreiben die Steuerpflichtigen häufig mit ihren Angaben: So wird z.B. gerne der Fleischanteil in den Gerichten oder aber der zu verkraftende Schwund der Waren (Tropfbier, verdorbenes Gemüse oder Fleisch etc.) zu hoch angesetzt.
Um diesen Einwänden zu begegnen, unternimmt das Finanzamt anonyme Testkäufe und wiegt die ausgegebenen Produkte mit Präzisionswaagen aus. Zudem werden hinsichtlich des Schwunds Gutachten von Sachverständigen eingeholt. Das Niedersächsische Finanzgericht hat solche Testkäufe übrigens als geeignetes Mittel der Beweissicherung angesehen (PStR 2005, 283).
bb) Zeitreihenvergleich
Der Zeitreihenvergleich ist keine klar definierte Prüfungsmethode, sondern weist zahlreiche Varianten auf. Deren Gemeinsamkeit besteht darin, dass bestimmte betriebliche Daten, die üblicherweise über längere Zeiträume ermittelt werden, nun zahlreichen sehr kurzen Zeitabschnitten zugeordnet werden (dadurch ergeben sich sog. „Zeitreihen“).
Das Verhältnis dieser Daten zueinander wird aber wieder über einen längeren Zeitraum betrachtet.
Es handelt sich um eine Prüfungsmethode, welche die eigenen Daten des geprüften Unternehmens einander gegenüberstellt. Dabei zieht man solche Daten heran, die sich wegen gegenseitiger Abhängigkeiten gleichförmig zu entwickeln pflegen (Umsätze und Wareneinkauf).
Methodisch geht man wie folgt vor:
Ein typisches Vorgehen ist, dass der Betriebsprüfer aus der Buchführung die wöchentlichen Wareneinkäufe und die wöchentlichen Verkaufserlöse entnimmt.
Aus den wöchentlichen Wareneinkäufen versucht er, auf den wöchentlichen Wareneinsatz zu schließen, also auf die tatsächlich verbrauchte Ware, und zwar durch Abzug des Eigen- und Personalverbrauchs sowie durch Verteilung der eingekauften Warenmenge über den Zeitraum bis zum nächsten Einkauf gleichartiger Waren.
Danach wird aus dem Verhältnis zwischen Wareneinsatz und Erlösen für jede Woche des Jahres ein individueller Rohgewinnaufschlagsatz ermittelt.
Die wöchentlichen Rohgewinnaufschlagsätze werden auf Schlüssigkeit überprüft. Aus den erklärten Umsätzen und dem erklärten Wareneinkauf wird festgestellt, ob sich unterjährig über bestimmte Zeitabschnitte (mehrere Wochen) Rohgewinnaufschlagsätze abbilden, die den durchschnittlichen Jahres-Rohgewinnaufschlagsatz übersteigen.
Dieser höhere Rohgewinnaufschlagsatz soll repräsentativ auf das ganze Jahr angewendet werden, es sei denn, es liegen betriebsbedingte Besonderheiten vor (z.B. Umstrukturierung des Betriebs, Preisveränderungen, neue Konkurrenzsituation, hohe Lagerbestände, saisonale Schwankungen).
Die Finanzverwaltung und auch viele Finanzgerichte haben sich häufig auf die These berufen, wonach das rechnerische „Mehrergebnis“ eines Zeitreihenvergleichs einen nahezu zwingenden Schluss darauf zulasse, dass Erlöse nicht richtig verbucht seien. Dieser These tritt der BFH (Urteil vom 25.03.2015 X R 20/13, BStBl. II 2015, 743) jedenfalls deutlich entgegen.
Unterstellt man den Zeitabschnitt mit dem höchsten Rohgewinnaufschlag als repräsentativ, muss diese Variante des Zeitreihenvergleichs denklogisch immer Mehrergebnisse gegenüber der Buchführung ausweisen führen, und zwar auch gegenüber einer formell und materiell vollständig ordnungsmäßigen Buchführung. Schon daher begegnet diese Art der Steuerschätzung Bedenken.
Diese Methode ist letztlich als Vollschätzung anzusehen, da das Buchführungsergebnis nicht nur ergänzt wird, sondern insgesamt – unter Zugrundelegung eines vom Finanzamt ermittelten höheren Rohgewinnaufschlagsatzes – durch ein anderes Ergebnis ersetzt wird.
cc) Quantilsschätzung
Ein Unterfall der Zeitreihenanalyse ist die Quantilsschätzung. Die Quantilsschätzung legt nicht den gleitenden Durchschnitt des mehrwöchigen Beobachtungszeitraums (in der Praxis: zehn Wochen) zugrunde, sondern von den wöchentlich ermittelten Rohgewinnaufschlagsätzen zunächst die niedrigsten 10% und die höchsten 10% eliminiert und aus den verbleibenden 80% einen Durchschnittswert bildet (auch andere Prozentsätze sind denkbar).
Die Finanzverwaltung ist der Ansicht, dass damit die Schwächen der Zeitreihenanalyse eliminiert habe und die dazu ergangene BFH-Rechtsprechung damit „überholt“ sei. Tatsächlich sind aber die Grundaussagen der BFH-Rechtsprechung auch auf diese Variante des Zeitreihenvergleichs anzuwenden.
dd) Geldverkehrsrechnung
Grundlage für die Geldverkehrsrechnung (GVR) ist der Bargeldverkehr sowie der Geldverkehr auf den Bankkonten des Steuerpflichtigen.
Da er innerhalb eines festgelegten Zeitraums (z.B. Prüfungszeitraum) nicht mehr Geld ausgeben kann, als ihm durch Einkünfte und sonstige Quellen zufliesst, können durch die GVR ungeklärte Zugänge ermittelt werden.
Wird aufgrund einer GVR eine Gewinnverkürzung nachgewiesen, gilt dies als selbstständiger Schätzungsgrund. Ein nachgewiesener ungeklärter Vermögenszuwachs spricht für die Annahme, dass höhere Einnahmen erzielt und höhere private Entnahmen getätigt wurden.
Die Bargeldverwendungsrechnung und die private Geldverkehrsrechnung sind Unterformen der Geldverkehrsrechnung.
Die private Geldverkehrsrechnung unterstellt, dass der Steuerpflichtige alle erzielten Einnahmen nach Abzug der Aufwendungen verbraucht oder anspart. Wird ein ungeklärter Zuwachs entdeckt, spricht dies für weitere Einnahmen.
Bei der reinen Bargeldverwendungsrechnung werden die dem Prüfer bekannten Barabhebungen von betrieblichen Konten erfasst und den tatsächlich vorgenommenen Bargeldzahlungen gegenübergestellt. Ergibt sich eine Differenz, spricht dies für bisher nicht versteuerte Bareinnahmen.
Diese Schätzungsmethode setzt voraus, dass sämtliche Konten eines Steuerpflichtigen in das Berechnungssystem einbezogen werden, um einen zutreffenden Saldo bilden zu können (BGH 4.2.1992, wistra 1992, 147).
ee) Vermögenszuwachsrechnung
Bei der Vermögenszuwachsrechnung werden nicht nur Einnahmen und Ausgaben für die Überprüfung herangezogen, sondern auch der Vermögensbestand. Lässt sich im Prüfungszeitraum das angeschaffte Vermögen nicht durch bekannte Einnahmen finanzieren, müssen bisher unbekannte Quellen vorhanden sein.
ff) mathematisch-statistische Verfahren der Steuerschätzung
Die Finanzverwaltung wendet mathematisch-statistische Verfahren an, um mit programmtechnischer Unterstützung Daten aus der Buchführung und aus Vorsystemen (zB dem Warenwirtschaftssystem) daraufhin zu analysieren, ob die dort erfassten Werte von statistischen Erwartungswerten abweichen.
Die Verfahren basieren also auf der Wahrscheinlichkeitstheorie. Eine Abweichung von dem nach der Wahrscheinlichkeit sich ergebenden Erwartungswert ist geeignet, die Manipulation der analysierten Daten aufzuzeigen.
(1) Chi-Quadrat-Test
Der Chi-Quadrat-Test kann Manipulationen in umfangreichen Zahlenwerken aufzeigen. Die Finanzverwaltung ist der Ansicht, dass das auch zB auf die Betriebseinnahmen in der Kasse anzuwenden sei.
Der Chi-Quadrat-Test geht davon aus, dass derjenige, der falsche Zahlen in sein Kassenbuch einträgt, unbewusst seine Lieblingszahl häufiger verwendet als dies nach Wahrscheinlichkeitsrechnungen der Fall ist – nämlich jede Ziffer zwischen 0 und 9 mit einer Häufigkeit von 10 Prozent.
Der Test ermittelt Differenzen im Zahlenwerk. Diese werden zum Quadrat genommen und die Summe aus diesen Quadraten durch die erwartete Verteilung der Ziffern geteilt. Liegt der ermittelte Wert über 30, soll mit einer Wahrscheinlichkeit von fast 100 Prozent eine systematische Manipulation der Zahlen vorliegen.
Der Mangel dieses Verfahrens liegt – wie bei allen statistischen Verfahren – darin, dass sie eine sehr grosse Grunddatengesamtheit voraussetzen, grösser als die Datenmenge, die eine Kasse im Prüfungszeitraum regelmässig hergibt.
Dieser Test liefert als Analyseverfahren keinen Beweis im juristischen Sinne, sondern lediglich Anhaltspunkte für Unregelmässigkeiten. Er kann aber zusammen mit anderen Feststellungen – mangelhaftes Kassenbuch, ungeklärte Geldeingänge bzw. Vermögenszuwächse – eine Steuerschätzung rechtfertigen.
(2) Benford’scher Reihentest
Der Benford’sche Reihentest ist ein Analyseverfahren, das Anhaltspunkte für weitere Nachforschungen bietet. Er geht davon aus, dass es mehr Zahlen mit niedrigen Anfangsziffern als solche mit einer hohen ersten Ziffer gibt.
Benford ermittelte eine mathematische Häufigkeit von etwa 30 Prozent bei der Ziffer 1, 8 Prozent bei der 5 und 4,6 Prozent bei der 9. Auch die Zahlen der Besteuerungsgrundlagen folgen diesem Gesetz, sofern sie nicht manipuliert sind.
(3) Summarische Risikoprüfung
Nachdem die Finanzgerichte die Beweisführung der mathematisch-statistischen Verfahren in Zweifel gezogen haben, hat die Finanzverwaltung diese weiterentwickelt und in der sog. Summarischen Risikoprüfung (SRP) zusammengeführt.
Die Summarische Risikoprüfung (SRP) bezeichnet die Finanzverwaltung (Wähnert, Handbuch der SRP, 1. öffentliche Auflage 11.1.2019) als
eine vorlagenunterstützte Filterprüfung für elektronische Betriebs-/ Besteuerungsdaten (das heisst, es werden die Daten aus der Buchführung, aus Vorsystemen etc. eingelesen und nach vordefinierten Kriterien gefiltert),
um mit Hilfe mehrperspektivisch vernetzter Gesamtbildverfahren (Prüfungsnetz) allgemein einzelfallbezogene Risiko-Prüffelder systematisch festzustellen und einzugrenzen
sowie speziell beim Prüffeld „Einnahmenvollständigkeit“ eine möglichst umfassende und abgesicherte Schlüssigkeitsbeurteilung – i.S. einer möglichst hohen Aussagegewissheit – vornehmen zu können;
dadurch soll ein ressourcenschonendes Risikomanagement mit zeitgemäßen (digitalen) Prüfungsmethoden unterstützt werden.
Der vorlagenunterstützte Bereich der SRP besteht aus zwei Teilen: Erstens identifiziert eine mehrperspektivisch regelbasierte Auswertung von (abhängigen) Betriebsgrößen (z.B. Warenfluss, umsatzbezogene Kosten, Datenschnittstellen oder Vertragsumsetzungen) Prüffelder als „Regelstörungen“ in Zeitreihenanalysen.
Diese zielen auf die Beurteilung der kaufmännischen Schlüssigkeit. Zweitens suchen systematisch verknüpfte musterbasierte Häufigkeitsuntersuchungen allgemein nach „Musterstörungen“ als prüfungsrelevante Vorgänge (Gestaltungen und Fehler) und speziell in manipulationsanfälligen Betriebsdaten (besonders Tageskasseneinnahmen) nach eindeutigen stochastisch – also mit Hilfe der Wahrscheinlichkeitstheorie – abgesicherten Eingriffsspuren.
Die SRP nutzt mit ihrem zentralen Aspekt der „systematischen Visualisierung“ den bekannten wahrnehmungsphysiologischen Vorteil der Verbildlichung von Zahlen und komplexen Sachverhalten in ihren bedienerfreundlich vorgefertigten Vorlagen, welche den Einstieg in die digitale Prüfungstechnik erleichtern und dennoch die Entscheidungen bei dem Prüfer belassen.
Kurzum, der Prüfer erhält die Ergebnisse grafisch dargestellt. So werden die tatsächlichen Ergebnisse den Erwartungswerten in grafischen Auswertungen gegenübergestellt. Dort, wo sich erhebliche Abweichungen zeigen, soll der Betriebsprüfer nachhaken.
Die SRP ist – wie die übrigen mathematisch-statischen Verfahren – mithin keine Schätzungsmethode, sondern dient vielmehr der Verprobung. Der Prüfer soll sie dafür einsetzen, um die analysierten Buchhaltungsdaten auf Abweichungen von Regelwerten und Relationen zu prüfen.
Zeigt sich eine solche Abweichung, so ist diese ein Hinweis auf etwaige Unregelmässigkeiten. Diesen soll der Prüfer dann nachgehen und sich auch hierauf konzentrieren.
In der Praxis ist zu beobachten, dass Betriebsprüfer die bei der SRP aufgeworfenen Abweichungen von den Erwartungswerten bereits als Buchführungsmängel darstellen und allein daraus eine Schätzungsbefugnis und damit eine Steuerschätzung ableiten.
Das ist in der Form zu kurz gegriffen und nicht haltbar. Es beruht wohl nicht zuletzt darauf, dass die SRP-Vorlagen zugleich Schätzungsoptionen anbieten.
IV. Wie Sie sich gegen eine Steuerschätzung wehren
Eine Schätzung steht nicht isoliert für sich, sondern findet ihre Umsetzung in einem Steuerbescheid. Dieser wird auch Schätzungsbescheid bezeichnet. Will man sich gegen die Schätzung zur Wehr setzen, so muss man gegen den Steuerbescheid vorgehen.
Um gegen die Steuerfestsetzung vorzugehen, steht einem grundsätzlich der Einspruch gegen den Steuerbescheid offen. Dieser ist fristgebunden.
Nach Ablauf der Einspruchsfrist kann man gegen den Steuerbescheid nur erfolgversprechend vorgehen, wenn sog. Änderungsgründe vorliegen. Diese sind recht eng gefasst, da der Gesetzgeber die Absicht verfolgt, dass nach Ablauf der Einspruchsfrist nur in engen Ausnahmefällen noch an dem Steuerbescheid gerührt werden soll.
Bei Schätzungsbescheiden, die deshalb ergehen, weil keine Steuererklärung abgegeben wurde, ist oft der Vorbehalt der Nachprüfung angebracht. Dies ist ein Änderungsgrund, der die Änderung auch nach Ablauf der Einspruchsfrist eröffnet.
Steuererklärung nachreichen und die Steuerschätzung wird geprüft
Reicht der Steuerpflichtige die Steuererklärung (nebst Belegen) nach, so wird das Finanzamt den Fall prüfen und entsprechend die Steuerfestsetzung berichtigen.
Besser als den Schätzungsbescheid abzuwarten ist es, sich bereits gegen eine drohende Schätzung zur Wehr zu setzen. Das Finanzamt hat die Schätzung regelmässig anzukündigen.
In der Betriebsprüfung erfolgt das regelmässig dadurch, dass die Betriebsprüfer in ihren Prüfungsvermerken beziehungsweise Prüfungsfeststellungen die Mangelhaftigkeit der Buchführung anführen und als deren Folge eine Steuerschätzung in Aussicht stellen.
Schon dann sollte sich der Steuerpflichtige eingehend damit auseinandersetzen, wie er die Schätzung abwenden oder jedenfalls günstig beeinflussen kann. Dazu ist der von der Betriebsprüfung angeführte Schätzungsanlass zu hinterfragen, der zugrunde gelegte Sachverhalt auf seine Richtigkeit und Vollständigkeit hin zu prüfen und darauf, ob der Steuerpflichtige hier Sachverhaltslücken schliessen kann.
Sodann ist zu prüfen, ob die gewählte Schätzungsmethode sachgerecht ist und der Betriebsprüfer sie richtig angewendet hat. Dass die gewählte Methode rechnerisch-technisch korrekt und in sich schlüssig angewendet werden muss, ist eine Binsenweisheit.
In der Praxis stellt sich aber das Problem, dass schon bei eher simplen Methoden wie der Geldverkehrsrechnung, erst recht aber bei komplexeren Methoden wie einer Aufschlagkalkulation im Prinzip eine unbegrenzte Zahl von Tatsachen und sonstigen Parametern in das Schätzungsergebnis einfließen kann.
Ganz besonders extrem ist dies natürlich bei Methoden, die, wie der Zeitreihenvergleich, nur noch computergestützt anwendbar sind. Für welche Ausgaben der Steuerpflichtige seine Einnahmen verwendet, welche Zutaten er mit welchen Anteilen zu den von ihm angebotenen Speisen kombiniert und in welchem Zeitraum er die von ihm an einem bestimmten Tag eingekauften Waren verbraucht, wird niemals mit „mathematischer“ Sicherheit feststellbar sein.
Für den Berater kann es durchaus erfolgversprechend sein, genau an dieser Stelle einzuhaken und die Wahrscheinlichkeit bestimmter Annahmen zu bezweifeln bzw. einen höheren Grad an Genauigkeit der Tatsachenermittlungen zu fordern.
Doch selbst wenn das Rechenwerk einer Steuerschätzung technisch-formal in Ordnung zu sein scheint, darf es der Besteuerung nicht zugrunde gelegt werden, wenn die Richtigkeit des Schätzungsergebnisses – also die Höhe der dem Steuerpflichtigen zugerechneten Einkünfte oder Umsätze – wirtschaftlich nicht erreichbar ist.
V. Einzelfragen zur Steuerschätzung
Darf das Finanzamt schätzen, nur weil …
… meine Kasse keine Einzelaufzeichnungen macht?
… meine Tagesendsummenbons nicht nummeriert sind?
… ich für meine Kasse keine Bedienungsanleitung und keinen Installationsbericht habe?
… die Kassendaten nicht vollständig gespeichert wurden?
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Nils Obenhaus
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