2. Sind Sie Einzelaufzeichnungspflichtig?
Sodann hat sich ein Unternehmer damit auseinanderzusetzen, ob er zu Einzelaufzeichnungen verpflichtet ist oder nicht. Ab 2020 hat der Gesetzgeber in § 146 Abs. 1 S. 1 der Abgabenordnung (AO) den Grundsatz der Einzelaufzeichnungspflicht festgeschrieben, und zwar für alle, ob bilanzierungspflichtig oder nicht.
Einzelaufzeichnungspflicht bedeutet: Jeder Geschäftsvorfall ist einzeln aufzuzeichnen. Darauf achten die Kassenprüfer. Vor allem auf die Verbuchung von Storni oder zB Freigetränken, Warenrücknahmen.
Die Einzelaufzeichnungspflicht gilt nach Auffassung der Finanzverwaltung unabhängig davon, ob ein elektronisches Aufzeichnungssystem oder eine offene Ladenkasse verwendet wird (Tz. 2.1.4 S. 1 AEAO zu § 146 AO).
Ordnungsgemäße Einzelaufzeichnungen sind der einzige Weg, um die finanziell schmerzhaften Sanktionen durch § 379 Abs.1 Nr. 3 AO zu vermeiden. Auch bei manueller Kassenführung sind Einzelaufzeichnungen zwingend.
Allerdings sind enge Ausnahmen eröffnet, soweit das Fertigen von Einzelaufzeichnung nicht zumutbar ist. Voraussetzung für die Ausnahme ist aber, dass Geschäftsgegenstand der Verkauf von Waren an eine Vielzahl von nicht bekannten Personen gegen Barzahlung ist (§ 146 Abs. 1 S. 3 AO).
Das zielt besonders auf Einzelhändler, Bäcker, Metzger. Die Ausnahme greift allein für den Warenverkauf, nicht für Dienstleistungen (zB Änderungsschneiderei, Reinigung, Gastronomie).
Denn der Gesetzeswortlaut führt aufgrund der Gesetzesmotive dazu, dass Einzelaufzeichnungen fast ausnahmslos zwingend sind.
aa) Einzelaufzeichnungspflicht durch elektronische Kassenführung
Die elektronische Kassenführung verpflichtet zur Einzelaufzeichnung der Geschäftsvorfälle. Dies ist in § 146 Abs. 1 S. 4 AO geregelt
bb) Einzelaufzeichnungspflicht bei Buchführungspflicht
Die Einzelaufzeichnungspflicht gilt unabhängig von der Gewinnermittlungsart (Tz. 2.1.1 AEAO zu § 146 AO). Der Unternehmer, der buchführungspflichtig ist oder freiwillig Bücher führt, muss die Geschäftsvorfälle einzeln aufzeichnen (BFH 12.7.2017 – X B 16/17, Rz. 68). Geschieht das nicht, so ist das ausreichend, um eine Ordnungswidrigkeit nach § 379 Abs.1 Satz 3 AO zu bejahen.
cc) Einzelaufzeichnungspflicht bei der Einnahmen-Überschuss-Rechnung (EÜR)
Bei der Einnahmen-Überschuss-Rechnung (EÜR) bildet § 146 Abs. 1 AO seit 1.1.2017 die Rechtsgrundlage für die allgemeine Einzelaufzeichnungspflicht (Tz. 2.1.1 und Tz. 2.17 AEAO zu § 146 AO). Damit müssen die Geschäftsvorfälle erfasst werden.
Es reicht nicht mehr aus, wenn nur die Betriebseinnahmen (Erlöse) und Betriebsausgaben durch Belege (BFH-Urteil vom 12.12.2017 – VIII R 5/14) nachgewiesen werden. Bei elektronischer Kassenführung folgt das auch aus § 146 Abs.1 Satz 4 AO.
Notwendige Voraussetzung für den Schluss, dass die Betriebseinnahmen vollständig erfasst sind, war schon immer die Aufbewahrung aller Belege (BFH-Urteil vom 15.4. 1999 – IV R 68/98; FG Berlin-Brandenburg 9.1.2017 – 4 V 4265/15).
Das ist zum 1.1.2017 erweitert worden, so dass in jedem Beleg die Geschäftsvorfälle erfasst werden müssen. Die frühere BFH-Rechtsprechung mit der Einzelaufzeichnungspflicht nur der Erlöse ist ab 1.1.2017 durch die neue Rechtslage des § 146 Abs.1 AO ersetzt worden.
Aber auch bei manueller Kassenführung müssen die Belege die Geschäftsvorfälle dokumentieren. Da es beim Einnahmenüberschussrechner nur Privatvermögen gibt, sind retrograde Kassenberichte ohnehin ausgeschlossen (a. A. BFH-Beschluss vom 13.3.2013 – X B 16/12).
dd) Einzelaufzeichnungspflicht gemäss § 22 UStG
Bei der Kassenführung sind die umsatzsteuerlichen Aufzeichnungspflichten zu beachten (Tz. 3.5 AEAO zu § 146 AO). Sie folgen aus § 22 UStG und damit aus dem Gesetz. Sie sind zwingend, also nicht unzumutbar. Retrograde Kassenberichte beruhen auf fehlenden Einzelaufzeichnungen.
Sie scheitern m.E. immer an den umsatzsteuerlichen Einzelaufzeichnungspflichten. Die umsatzsteuerliche Aufzeichnungspflicht folgt aus § 22 UStG und greift bei Umsätzen nur mit einem Steuersatz ein.
Bei verschiedenen Steuersätzen müssen getrennte Aufzeichnungen geführt werden. Eine Gesamtsumme kann nie die nötigen getrennten Aufzeichnungen nach § 22 UStG ersetzen.
Bei getrennten Steuersätzen sind offene Ladenkassen ohne Einzelaufzeichnungen schon deshalb unzulässig (OFD Frankfurt vom 28.9.2018, S 0316 A – 010 – St 3a). Denn durch eine offene Ladenkasse jeweils für die Erlöse zu 7 % und 19 % entsteht keine ordnungsgemäße Kassenführung, zumal das nie praktikabel ist.
Die nötige Einzelaufzeichnung der Erlöse gem. § 22 UStG kann nicht durch die summarische Kassenführung mit retrograden Kassenberichten ersetzt werden. Aus ihnen lässt sich entgegen Abschnitt 63 Abs.1 UStDV nicht prüfen, ob der jeweilige Umsatz steuerbar, steuerbefreit ist und dem Regelsteuersatz oder einem ermäßigtem Steuersatz unterliegt.
Insofern ist es fehlerhaft, wenn die Aufzeichnung nur der vereinnahmten Beträge nicht als Verstoß gegen § 22 UStG beurteilt wird (BFH-Beschluss vom 12.7.2017 – X B 16/17) Faktisch führt diese Erfassung nur der Erlöse zu einer nicht überprüfbaren Summe.
ee) Einzelaufzeichnungspflicht beim Verkauf von Waren und § 146 I S. 3 AO
Wer nur auf den missglückten Wortlaut des § 146 I S. 3 AO abstellt, wird davon ausgehen, dass Warenverkäufe an namentlich unbekannte Kunden ohne Einzelaufzeichnungen möglich sind.
Die Unzumutbarkeit der Einzelaufzeichnungen ist ein Kriterium der früheren Einzelhandelsrechtsprechung (BFH-Urteil vom 12.5.1966 – IV 472/60), die von § 146 Abs. 1 Satz 3 AO fortgeführt werden soll. Danach müssen die Einzelaufzeichnungen unzumutbar sein. Das ist bei wenigen Geschäftsvorfällen nie der Fall, da der Gesetzeswortlauf auf eine Vielzahl von Geschäftsvorfällen abstellt.
Das Kriterium der Unzumutbarkeit von Einzelaufzeichnungen ist im Computerzeitalter kaum jemals erfüllt. Durch die weitere Regelung in § 146 Abs.1 Satz 4 AO ist erkennbar, dass eine Einzelaufzeichnungspflicht besteht, wenn eine Registrierkasse geführt wird.
Unabhängig davon erfordert jede Gewinnermittlungsart per se Einzelaufzeichnungen, meint die Finanzverwaltung (Tz. 2.2.1 AEAO zu § 146 AO). Das sehen Finanzgerichte etwas differenzierter.
Zudem müssen die umsatzsteuerlichen Aufzeichnungspflichten beachtet werden (Tz. 3.5 AEAO zu § 146 AO). Diese Besonderheiten haben der Gesetzgeber in § 146 I S. 3 AO und das BMF im AEAO zu § 146 AO übersehen. Bei elektronischer Kassenführung folgen die Einzelaufzeichnungspflichten aus § 146 Abs. 1 Satz 4 AO.
ff) Dienstleister müssen gem. § 146 I S. 3 AO Einzelaufzeichnungen führen
Einzelaufzeichnungen bei Dienstleistungen sind gem. § 146 I AO zwingend. § 146 I S. 3 AO umfasst nicht die Dienstleistungen (Tipke/Kruse, AO/FGO, § 146 AO Rn. 26, Lfg. 152, April 2018) und auch nicht die Gastronomie. Der AEAO (Tz. 2.2.6 AEAO zu § 146 AO), der dies anders beurteilt, hat dies einem BFH-Beschluss (v. 12.7.2017, a.a.O.) entnommen.
Das ist falsch, da diese Entscheidung ausdrücklich keine Aussage über den summarischen Einzelfall hinaus enthält und in ihr zudem betont worden ist, dass ab 1.1.2017 eine andere Rechtslage eingreift.
Ein Dienstleister ist zwar nicht verpflichtet, ein elektronisches Aufzeichnungssystem anzuschaffen. Er ist jedoch verpflichtet, die baren Geschäftsvorfälle einzeln zu erfassen, da die Erfassung der Tageseinnahmen nur durch Auszählen der Tageslosung nicht mehr zulässig ist.
Deshalb müssen Dienstleister spätestens ab 2017 Einzelaufzeichnungen führen (Strahl, kösdi 2017 S. 20170, 20182 Anm. zu Rn. 29). Eine analoge Anwendung des § 146 Abs. 1 Satz AO auf Dienstleister scheidet aus, weil die für eine Analogie nötige Regelungslücke fehlt.
Es gibt also keine Unzumutbarkeit von Einzelaufzeichnungen bei Dienstleistungen. Deshalb müssen in der Gastronomie Einzelaufzeichnungen geführt werden. Geschieht das nicht, so droht das Bußgeld gem. § 379 Abs.1 Nr. 3 AO.
gg) Geldwäschegesetz
Es greift die erweiterte Einzelaufzeichnungspflicht ein, wenn es sich um Beträge handelt, die vom Geldwäschegesetz erfasst werden.